Unser Jahresrückblick 2022
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19.12.2022Im Hinblick auf eine nachhaltige Luftfahrt geht es um Innovationsfähigkeit und die Bereitschaft, Ressourcen und Fähigkeiten zu bündeln, sagt Prof. Rolf Henke, seit 2021 Luftfahrt-Koordinator im Land Bremen. Wir sprechen mit ihm über die Möglichkeiten und Vorteile des Luftfahrstandorts Bremen, zum globalen Ziel der ‚Zero Emission Aviation’ maßgeblich beizutragen.
Professor Henke, sehen Sie das hinarbeiten auf die ‚Zero Emission Aviation‘ als Möglichkeit für die Luftfahrtbranche, um zukunftsfähig aus der Krise zu kommen?
Prof. Rolf Henke: „Die Luftfahrt muss nachhaltiger werden, das Produkt Flugzeug wie sein Betrieb, daran führt aus meiner Sicht kein Weg vorbei. Es geht also längst um so viel mehr als schlichte Möglichkeiten. Anders ausgedrückt: Der Entwicklungsdruck ist hoch wie nie und die Akteure haben die Notwendigkeit zum Handeln längst erkannt. Der Grund: ‚Clean Aviation‘ ist der einzige Weg in die Zukunft der Luftfahrt.“
Worum genau geht es bei der nachhaltigen Luftfahrt?
„Nachhaltig zu agieren heißt: Wir dürfen die Regenerationsfähigkeit der Erde nicht länger überstrapazieren. Für die Luftfahrtbranche rückt darum die ressourcenschonende Kreislaufwirtschaft in den Mittelpunkt. Stufe eins ist dabei die Verringerung der Emissionen von Einzelmissionen. In Stufe zwei geht es darum, auch die Prozesse und den Betrieb am Boden emissionsfrei zu gestalten, dazu gehören dann auch die Bereiche Wartung und Reparatur. Stufe drei beinhaltet schließlich einen kompletten emissionsfreien Lebenszyklus des Produkts Flugzeug, von der Entwicklung bis zum End-of-Life.“
Was sind aus Ihrer Sicht die vielversprechendsten Ansätze auf dem Weg zum Green Deal?
„Das Problem ist: Es gibt nicht die eine einfache Lösung, um die Luftfahrt bis zum Tag X nachhaltig zu gestalten. Aus meiner Sicht ist es die Summe vieler Ansätze, die uns auf den richtigen Weg bringen: Weniger Luftwiderstand und weniger Gewicht bedeuten weniger Treibstoffverbrauch, es geht also um Technologiefelder wie z. B. Strömungstechnik und Leichtbau, um die Entwicklung von Elektro- oder Hybridantrieben und um das große Thema Antriebsenergie wie beispielsweise Wasserstoff. Neben den Triebwerken ist der Flügel eine entscheidende Komponente, bei dem Aerodynamik, Struktur, Sensorik und Regelsysteme zukünftig enger miteinander verwachsen.
Ein entscheidender Hebel ist auch die Umwelt-optimierte Routenführung. Es lässt sich berechnen, auf welcher Route und in welcher Flughöhe die geringste Umweltbelastung zu erwarten ist, womit jeder Flug dann nicht mehr nach Kraftstoffverbrauch, sondern nach der geringsten Umweltwirkung, dem kleinsten ökologischen Fußabdruck optimiert wird. Dafür wiederum braucht es Atmosphärenmodelle und die entsprechende Technik sowohl am Boden als auch in der Luft.“
Wo steht die Luftfahrtbranche bei dieser Entwicklung aktuell?
„Beim Forschungsstand zum Thema Umwelt-optimierte Routenführung nimmt Deutschland eine weltweite Vorreiterrolle ein, die es zu sichern, vor allem aber zu nutzen gilt. Um hier die entscheidenden nächsten Schritte zu gehen, braucht es die Instrumente der Politik, also Entscheidungen, Regelwerke und angepasste Gebührenmodelle. Natürlich wird die Forschung daran auch Geld kosten, das ist aus meiner Sicht aber eine mehr als lohnenswerte Investition, denn neben einer aussichtsreichen Perspektive entstehen auch Arbeitsplätze.“
Was kann getan werden, um dem Ziel der Zero Emission Aviation Auftrieb zu geben?
„Es geht darum, den Entwurfsraum für neue Ideen und weitere Akteure zu öffnen, also Dinge neu zu denken. Nicht nur (aber auch), weil diese Denkweise Luftfahrt-Unternehmen zu spannenden Arbeitgebern für den Branchennachwuchs macht. Außerdem hängen Schnelligkeit und Erfolg bei der Entwicklung zukunftsfähiger Technologien stark davon ab, ob wir es schaffen, bereits vorhandene Expertise für ein Gesamtsystem zu bündeln.“
Wie weit ist Bremen in dieser Hinsicht?
„In den Bremer Unternehmen und Forschungseinrichtungen ist das Know-how zum ökoeffizienten Fliegen fest verwurzelt. Bereits heute bündeln die Stakeholder der Branche ihre Kompetenzen, seit Kurzem haben wir eine gemeinsame Runde und setzen uns regelmäßig an einen Tisch. Diese Tatsache bietet vielfältige Chancen für Kollaborationen sowie die niederschwellige Erweiterung der Runde zu richtungsweisenden Thinktanks Luftfahrtforschung, Entwicklung, Fertigung, Zulieferer, Betrieb oder Flugsicherheit, ob akademische oder praktische Ausbildung – in Bremen sitzt die geballte Expertise der gesamten Luftfahrt.“
Inwiefern hat der Luftfahrtstandort Bremen hier ein Alleinstellungsmerkmal?
„Bremen hat neben der gerade beschriebenen Vielfalt einen weiteren entscheidenden Vorteil: die viel zitierten kurzen Wege. Eine zukunftsweisende Strategie für die weltweite Luftfahrt zu entwickeln, fällt so viel leichter, wenn Expertinnen und Experten aus allen Bereichen der Luftfahrt, aber auch die Politik praktisch Tür an Tür sitzen.“
Einen großen Stellenwert nimmt in Bremen auch das Thema UAS, also die unbemannten Fluggeräte ein. Inwiefern sind die für den Green Deal mitentscheidend?
„Zunächst ist das Thema UAS wegen neuer EU-Verordnungen gerade wieder top-aktuell. Ganz generell gilt, dass viele technische Impulse oder Innovationen ihren Weg von den kleineren Fluggeräten zu den großen Flugzeugen finden, z. B. bei der zunehmenden Automatisierung oder beim Elektroantrieb. Das macht die sogenannten Drohnen spannend, auch mit Blick auf Transportflugzeuge. Rund um das Drohnen-Thema sind drei Tätigkeitsfelder zu unterscheiden: das Fluggerät inklusive seiner Sensorik, den Betrieb inklusive Nutzlast sowie die Steuerung inklusive Bodenstationen, solange sie nicht autonom sind. Aus Bremen können z. B. Sensoren zur Schadstoffdetektion, Bodenstationen für den Betrieb und Genehmigungseinrichtungen als Dienstleister kommen. Bei der Nutzung von Drohnen sind heute schon viele Themen zu sehen, wie Teiletransporte, Überwachungen von Windrädern oder Schiffsabgasen, Leitstellen für Einsatzszenarien und vieles mehr. Das wird sich entwickeln und wachsen, und daran sollte Bremen partizipieren. Wenn wir das alles richtig machen, wird es sowohl ein Technologietreiber sein als auch ein weiterer Baustein auf dem Weg zur nachhaltigen Mobilität.“
Welche Werkzeuge nutzen Bund und Länder, um klein- und mittelständische Unternehmen auf dem Weg zum nachhaltigen Fliegen mitzunehmen?
„Als wichtiges Instrument sind hier die Förderprogramme zu nennen, wie das ‚LuRaFo‘ für die Luft- und Raumfahrtforschung des Landes Bremen, das Luftfahrtforschungsprogramm ‚LuFo Klima‘ der Bundesregierung sowie verschiedene europäische Programme für Entwicklungen in den Bereichen Flugzeug und Betrieb. Das sind natürlich nur die Programme mit direktem Luftfahrtbezug, dazu kommen Mittelstandsinitiativen, Wasserstoff- und Digitalisierungsstrategien und mehr.“
Was braucht es Ihrer Meinung nach jetzt (zusätzlich) ganz konkret?
„Es ist aus meiner Sicht zwingend, dass diese Förderungen auf das bereits angesprochene notwendige gemeinsame Ziel angepasst werden. Was es also unbedingt braucht, ist zunächst einmal eine abgestimmte Strategie auf Länder-, Bundes- und EU-Ebene. Ein Beispiel hierfür ist die europäische Luftfahrtvision „Fly the Green Deal“, die zuletzt auf der Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung (ILA) in Berlin Vizekanzler Dr. Robert Habeck überreicht wurde. Fakt ist: Wir müssen noch mehr und gezielter forschen. Zudem sind direkt geförderte Reallabore wichtig, um erste Prototypen schon in einem frühen Stadium zu testen und gegebenenfalls auch aus einem Scheitern zu lernen, das brächte definitiv Tempo in die Entwicklung mit dem Ziel der Nachhaltigkeit.“
Sie plädieren zudem dafür, Mobilität im Hinblick auf das Thema Nachhaltigkeit als Ganzes zu betrachten. Was genau ist die Idee dahinter?
„Ein jeder Reiseplan beginnt für jeden von uns mit der Abwägung von Kosten, Komfort und Schnelligkeit, mit individuellen Abweichungen, was die Gewichtung angeht. Dazu kommt erfreulicherweise zunehmend der Anspruch, der Umwelt möglichst wenig zu schaden. Das Gleiche gilt für Transportketten der Logistik, die zum einen effizient, zum anderen aber ökologisch und auch sozialverträglich geplant werden sollen und müssen, das sind die berühmten, von der UN definierten „drei Säulen der Nachhaltigkeit“. In diesem Zusammenhang ergibt es schlicht keinen Sinn, eine Art der Fortbewegung bewusst auszuklammern, statt darauf zu setzen, Mobilität als Ganzes umweltfreundlich zu organisieren. Also egal ob zu Lande, zu Wasser oder in der Luft, wichtig ist, dass ich mein Ziel erreiche und dabei in möglichst vielerlei Hinsicht Ressourcen spare. Worum es geht, ist ein strukturübergreifendes Umdenken in Richtung einer Technologie-, Energie und Mobilitätsphilosophie, für die wir im Idealfall alle an einem Strang in einer Richtung ziehen. Da ist nicht ein Transportmittel per se schlecht und ein anderes gut, wir müssen alle Faktoren einbeziehen und auf Basis einer nachhaltigen Energieversorgung eine nachhaltige Mobilität erreichen.“
ZUR PERSON
Prof. Rolf Henke:
Professor Rolf Henke ist seit Anfang 2021 Luftfahrtkoordinator des Landes Bremen. Aufgabe des Koordinators ist es, die internationale Spitzenposition des Luft- und Raumfahrtstandortes Bremen auszubauen sowie die Standortkompetenzen in Wirtschaft, Wissenschaft und das Know-how der Fachkräfte zusammenzuführen.
Professor Henke ist ein international anerkannter Experte für die Luftfahrt. Er war 20 Jahre bei Airbus in Bremen beschäftigt, leitete das Luft- und Raumfahrtinstitut an der RWTH Aachen, wo er bis heute lehrt, verantwortete als Vorstandsmitglied im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) den Bereich Luftfahrt und war langjähriger Präsident der Deutschen Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt (DGLR).
Über die Luft- und Raumfahrt Koordinatoren des Landes Bremen
Zur Stärkung und Weiterentwicklung des Luft- und Raumfahrtstandorts Land Bremen wurden jeweils ein Koordinator für die Luftfahrt und ein Koordinator für die Raumfahrt von der Senatorin für Wirtschaft, Arbeit und Europa beauftragt. Mit den Aufgaben betraut wurden Professor Rolf Henke (Luftfahrt) und Siegfried Monser (Raumfahrt). Dabei gilt es den direkten Kontakt zu den bremischen Unternehmen, Institutionen sowie zur Politik zu pflegen und die Interessen des Landes Bremen bezüglich der Weiterentwicklung der Luft- und Raumfahrtbranche zu unterstützen. Diese Aufgabe erfordert zudem eine enge Abstimmung mit den Bundesländern, dem Bund und der EU. Dabei wirken die Koordinatoren als Botschafter Bremens.